Digital, präventiv, menschlich
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Wie gelingt ein Gesundheitssystem, das nicht nur verwaltet, sondern gestaltet? Eines, das digitale Werkzeuge intelligent nutzt, Innovationen dort einführt, wo sie echten Nutzen bringen – und Menschen ermutigt, Verantwortung für ihre Gesundheit zu übernehmen?
Im Gespräch mit Peter Lehner, dem Obmann der Sozialversicherung der Selbständigen (SVS), wird eines schnell klar: Digitalisierung, Prävention und Datennutzung sind keine abstrakten Zukunftsthemen – sie sind konkrete Werkzeuge, um Menschen in Österreich besser zu versorgen. In der vierten Folge des Podcasts „Dialog Gesundheit“ spricht Uta-Maria Ohndorf mit ihm über neue Wege im Gesundheitssystem und über die Gratwanderung zwischen technologischer Effizienz und menschlicher Nähe.
Auf einen Blick:
Digitalisierung mit Nähe und Vertrauen
Fehlende Evidenz ist kein Vorwand für Stillstand
Gezielte Anreize für mehr Gesundheitsverantwortung
Ein oft übersehener, aber entscheidender Hebel im Gesundheitswesen ist die Kommunikation zwischen den Gesundheitsberufen. Gerade im Notfall muss schnell ersichtlich sein, welche Medikamente jemand nimmt oder welche Diagnosen bereits gestellt wurden – und trotzdem haben wir in Österreich noch kein System, das all das abbildet.
Ein wichtiger Schritt in diese Richtung ist laut Peter Lehner die Einführung von Diagnosekodierungen in der elektronischen Gesundheitsakte ELGA, um ungenutzte PDF-Dateien durch strukturierte Informationen zu ersetzen. So können Doppeluntersuchungen, Medikationsfehler oder unnötige Verzögerungen vermieden werden. Digitalisierung soll dabei nicht nur die Beziehung zwischen Versicherten und System verbessern, sondern auch das Zusammenspiel innerhalb des Systems intelligenter machen.
„Der Datenaustausch muss dort ankommen, wo er Leben retten kann: im Alltag der Medizin.“ – Uta-Maria Ohndorf
Für Peter Lehner ist klar: Eine digitalisierte Sozialversicherung ist kein Widerspruch zur Menschlichkeit – im Gegenteil. Bei der SVS helfen automatisierte Systeme etwa bei der Medikamentenbewilligung, entlasten Mitarbeiter:innen und sorgen für schnellere Abläufe. Doch wenn es heikel wird, braucht es menschliches Augenmaß: negative Entscheidungen, wie beispielsweise die Ablehnung eines Kurantrags, werden nie von der KI getroffen, sondern bleiben in der Verantwortung des Menschen. Das Ziel der Digitalisierung ist dabei funktionale Nähe: Versicherte können rund um die Uhr mit der SVS kommunizieren, Wahlärzt:innenrechnungen via App einreichen und Leistungen auch außerhalb klassischer Öffnungszeiten nutzen. Digitalisierung wird zum Mittel für mehr Selbstbestimmung und nicht zur weiteren Hürde.
Innovation muss im Alltag bestehen, nicht nur auf dem Papier. Deshalb setzt die SVS auf konkrete Pilotprojekte mit digitalen Gesundheitsanwendungen, sogenannten DiGAs. Ob bei der digitalen Reha-Begleitung oder der KI-gestützten Blutdruckkontrolle: Ziel ist es, neue Technologien nicht nur zu testen, sondern im echten Versorgungskontext auf ihren Nutzen hin zu prüfen.
Doch Peter Lehner stellt klar: Nicht jede digitale Anwendung wird automatisch zur Kassenleistung. Entscheidend ist, ob sie einen nachweisbaren therapeutischen Mehrwert bringt – für die Patient:innen, aber auch für das System. Die größte Herausforderung sei dabei nicht die Technik, sondern das System: Regulierung, Evidenznachweise und Finanzierungsmodelle hinken der technologischen Entwicklung oft hinterher. Peter Lehner setzt sich dabei für mehr Pragmatismus ein, um Innovationen nicht zu blockieren, sondern voranzutreiben.
Viele von uns leben so, als könnte uns das Gesundheitssystem immer wieder reparieren – als hätten wir eine Vollkaskoversicherung für unseren Körper abgeschlossen. Die Realität sieht allerdings anders aus: Viele Erkrankungen, insbesondere chronische, lassen sich nicht einfach „rückgängig machen“. Das Gesundheitssystem kann Symptome lindern, aber nicht alles heilen. Und es ist weder unbegrenzt belastbar noch frei von Konsequenzen – weder für den oder die Einzelne:n noch für die Gesellschaft.
Es geht darum, Eigenverantwortung zu stärken, bevor es zu spät ist – nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit konkreten Anreizen und verständlicher Kommunikation. Die SVS setzt dabei auf finanzielle Anreize: Wer bei bestimmten Krebsvorsorgeuntersuchungen mitmacht, erhält 100 €. Einfach, direkt und ohne Antrag. Das wirkt und verändert Verhalten nachhaltig. Denn wer versteht, welchen Nutzen Vorsorge hat, übernimmt eher Verantwortung – für sich, sein Umfeld und langfristig auch für das System.
Das Gespräch mit Peter Lehner zeigt: Ein Perspektivenwechsel ist notwendig, egal ob bei Digitalisierung, Innovation oder Gesundheitskompetenz. Nicht die Risiken, sondern den Nutzen sollten wir diskutieren. Und dabei nicht Angst machen, sondern befähigen. Was es dafür braucht? Den Willen, auch unbequeme Wahrheiten auszusprechen und Mut zum Ausprobieren von neuen Technologien und Prozessen.
Seien es KI-gestützte Versorgung, Gesundheits-Apps oder neue Anreize für Prävention – die Zukunft liegt nicht irgendwann vor uns, sondern sie beginnt jetzt.
„Denken Sie darüber nach, welche Vorteile Ihnen Digitalisierung bringt – und nutzen Sie sie.“ – Peter Lehner